Fränkische Lehrer mit Oberbayern-Problem
von Michael Hebentanz
Fast alle Jahr kann man kurz nach Ende der Sommerferien von fränkischen Lehrern lesen, die ein München/Oberbayern-Problem haben, aber auch von „fränkischen Robin Hoods“, die sich dem München-Zwang letztlich kreativ widersetzen – so auch in diesem Jahr.
Denn obwohl auch in Unterfranken Lehrermangel herrscht, durften im September zehn einsatzbereite und voll qualifizierte Junglehrer nicht an den ihnen zugewiesenen Schulen unterrichten (vgl. FT-Bericht vom 30.9.2019). Und obwohl die jungen Grund- und Mittelschullehrer zu Schuljahresbeginn gern vor ihre Klassen getreten wären, teilten ihnen die jeweiligen Schulämter mit, dass Dienstbeginn nicht der 11. September, sondern der 1. Oktober sei. Damit entgeht den Junglehrern ein Monatsgehalt. Und den jeweiligen Schulen fehlen schon zum Schulstart Pädagogen.
Warum muten die zuständigen Behörden – also die Regierung von Unterfranken und das übergeordnete Kultusministerium – den Junglehrern diese Zwangspause zu? Man könne das Verhalten der Behörden als „Strafaktion“ verstehen, mutmaßt Gerhard Bleß, Vorsitzender des Unterfränkischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. „Das Nachtreten des Kultusministeriums soll die Botschaft vermitteln, dass man nicht ungestraft eine Planstelle in Oberbayern ablehnt.“ Die zehn zwangspausierenden Lehrer eint, dass sie alle aus Unterfranken kommen und alle zum Schuljahresbeginn eine unbefristete Beamtenplanstelle in Oberbayern hätten antreten können. Alle zehn haben aber abgesagt und waren bereit, die feste Beamtenstelle in Oberbayern gegen eine auf ein Jahr befristete Angestelltenstelle in Unterfranken zu tauschen. „Ich kann mir Oberbayern, speziell die Region München, finanziell einfach nicht leisten“, sagt etwa Junglehrerin Luisa Tischler. Sie spricht als Vorsitzende des „Jungen BLLV“ im Kreis Kitzingen, wenn sie sagt: „Wenn wir die feste Beamtenstelle zugunsten eines unsichereren und schlechter bezahlten Angestelltenvertrags abgelehnt haben, dann nicht aus Spaß an der Freud. Es gab bei allen wichtige private Gründe wie etwa langjährige Beziehungen oder finanzielle Erwägungen.“
Dass unterfränkische Lehrer nach Oberbayern versetzt werden, ist nicht ungewöhnlich. „Seit rund 15 Jahren geben wir 50 oder 60 Prozent der unterfränkischen Lehrer dorthin ab“, klagt Bleß. Wer gehen muss und wer bleiben kann, hängt laut Bleß vomFamilienstand ab: „Die Ledigen haben schlechtere Karten.“
In den vergangenen Jahren wurde Hessen oft Nutznießer des München-Zwangs. Denn Hessen freut sich, wenn man gut ausgebildete Lehrer aus Franken abwerben kann (vgl. Bericht BSZ vom 23.06.2017). Am Untermain gelingt das besonders gut. Denn das benachbarte Hessen ist nur wenige Kilometer entfernt, auch nach Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist es nicht weit. Jedenfalls nicht so weit wie nach Oberbayern – wohin angehende Lehrer vom Untermain fast immer versetzt werden. Denn in Oberbayern gibt’s immer mehr Schüler, in Franken dagegen immer weniger. Einmal abgeworben, sind die dringend benötigten Lehrer für den Freistaat (für Franken und Oberbayern demnach) dann meist für immer verloren. Muss das sein? Darüber diskutierte bereits 2017 der Landtagsausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes. Regierungsdirektorin Kornelia Salamon vom Kultusministerium erläuterte, warum es ohne Versetzungen nach Oberbayern nicht geht: Derzeit leben 35,7 Prozent aller bayerischen Grund- und Mittelschüler in Oberbayern – im Jahr 1991 waren es nur 29 Prozent. Es müssten daher „grundsätzlich Lehrkräfte aus allen Regierungsbezirken in Oberbayern eingesetzt werden“, betonte Salamon. Ob und wohin sie versetzt werden, erfahren die angehenden Lehrer dabei meist erst relativ spät, bisweilen erst kurz vor Schulbeginn. Hessische Schulen gehen derweil ungeniert in Bayern auf Lehrersuche, rufen sogar gezielt an bayerischen Schulen an, um die Referendare abzuwerben. Der SPD-Bildungspolitiker Martin Güll weiß von einer hessischen Schule, die ausnahmslos im Bundesland Bayern ausgebildete Lehrer beschäftigt. „Das kann man sich leisten, wenn man einen Überschuss an Grundschullehrern hat“, sagt ein verärgerter Güll der Staatszeitung. Für die CSU scheint das Ganze kein besonderes Ärgernis zu sein. Deren Abgeordneter erklärte 2017 im Ausschuss, die Unterrichtsversorgung sei überall „sichergestellt“. Die betroffenen Bürger am Untermain indes sind massiv verärgert. Sie haben mit dem Problem zu kämpfen, dass die Lehrer dort wegen der dauernden Oberbayern-Abordnungen überdurchschnittlich häufig wechseln. Die Schulen beschäftigen also viele Aushilfslehrer mit Zeitverträgen. Rund 3.000 Bürger vom Untermain haben ihrer Wut 2017 mit einer Petition Ausdruck verliehen. Die Opposition unterstützte die von der SPD-Abgeordneten Martina Fehlner vorgestellte Eingabe, die fordert, dass alle am Untermain ausgebildeten Lehrkräfte dort bleiben dürfen – um das ewige Hin und Her für die Kinder zu beenden. Man könne die Region doch einfach zu einer Art Notstandsgebiet erklären, schlug Fehlner vor. Die CSU aber wollte nicht am bisherigen Versetzungsverfahren rütteln.
Aus fränkischer Sicht stellen sich daher langfristig folgende Fragen, die auch alle fränkischen Abgeordneten parteiübergreifend stellen sollten: Wäre es in Zeiten des Lehrermangels nicht wünschenswert, dass der Freistaat Bayern in gefragten Zweigen wie der Grund- und Mittelschule alle fränkischen Lehrer übernimmt und sie lieber auch in Franken einstellt, anstatt sie mit dem München-Horror in andere Bundesländer zu vertreiben? Was wäre denn so schlimm daran, dass dann z.B. in Unterfranken sagen wir mal 90 % aller Stellen besetzt wären, aber in Oberbayern nach wir vor nur 80 %? Ist es da wirklich besser, die fränkischen Lehrer in andere Bundesländer zu vergraulen und dann das „gerechte“ Ergebnis zu verkünden, sowohl in Oberbayern als auch in Unterfranken sind jeweils nur 80 % der Stellen besetzt? Kann man fränkische Junglehrer ausbaden lassen, dass jahrzehntelang eine ungerecht-einseitige Strukturpolitik zugunsten München-Oberbayern erfolgte?
Müsste man statt dessen nicht endlich die Grundsatzprobleme angehen, nämlich für gleiche Lebensbedingungen sowohl in Oberbayern wie in Franken zu sorgen?