Neustadt b. Coburg – eine geschichtsträchtige Stadt in Franken
Kinderfest © Stadt Neustadt b. Coburg
Neustadt bei Coburg war, zusammen mit Sonneberg Ausrichtungsstadt des ersten länderübergreifenden Tages der Franken 2019. In einem Beitrag von Nina Brückner stellt sich die Stadt vor.
Am 11. Juli 2020 wäre es wieder soweit gewesen und Neustadt hätte seinen „Nationalfeiertag“ gefeiert, eingeläutet durch den „Weckruf“ der Stadtkapelle und des Jugendorchesters am Samstagmorgen – wenn dieses Jahr auf Grund von Corona nicht alles ein wenig anders laufen würde.
Jährlich im Juli lockt nämlich sonst das Neustadter Kinderfest die Bürgerinnen und Bürger in die reichlich bunt geschmückten Straßen der Innenstadt, wo sie den Kinderfestumzug bestaunen. Neben Gästen aus nah und fern kommen auch viele Weggezogene an diesem Tag zu Besuch in die Heimat. Zwischen mit Luftballons, Fähnchen und Girlanden verzierten Häusern sowie Zuschauermengen auf den seitlichen Gehwegen laufen alle Kinder der Neustadter Schulen nach Klassen und Schulart sortiert mit Kostümen und aufwändig gestalteten Schildern durch die Straßen, begleitet von verschiedenen Blaskapellen und geschmückten Festwagen. Im Anschluss an den Umzug finden die sogenannten Freiübungen auf dem Schützenplatz statt. Hier geben die Jungen der Sekundarstufe beim sportlichen Staffellauf ihr Bestes, die Mädchen bei den synchron eingeübten Tanzvorführungen und die Kleinsten beim „Rutscher“, dem traditionellen Neustadter Kindertanz mit seiner ganz besonderen Melodie. Am Kletterbaum ergattern sich die Kinder im Anschluss ein Spielzeug oder etwas Süßes, Fahrgestelle und Schießbuden ergänzen das bunte Treiben und unter den angebotenen Leckereien, wie Zuckerwatte, Eis oder gebrannte Mandeln, hat die Neustadter Bratwurst den höchsten Stellenwert. Sogar im Festumzug wird diese symbolhaft als Glasfiber-Plastik in Riesendimension von vier ehemaligen Neustadter Schülern mit ganz viel Stolz getragen. Am Nachmittag finden sich dann meist Familien und Nachbarn zusammen und lassen den Tag mit einem geselligen Grillfest ausklingen.
Das Kinderfest ist das beliebteste und wohl auch großartigste Fest und den zahlreichen Traditionsveranstaltungen der Stadt Neustadt und verbindet Generationen miteinander. Es blieb selbst über den Dreißigjährigen Krieg und die beiden Weltkriege hinweg bis heute erhalten. Im Neustadter Kirchenbuch wird das Kinderfest erstmals urkundlich nachgewiesen und geht – noch mit der ursprünglichen Bezeichnung „Gregoriusfest“ – auf das Jahr 1617 zurück. Somit zählt das Neustadter Kinderfest zu den ältesten Kinderfesten Deutschlands.
Das Gregoriusfest als Schul- und Kinderfest hat eine mehr als 1000-jährige Vergangenheit und geht auf Papst Gregor I. (540-604) zurück, der auch – stets bemüht um die Bildung von Kindern – als „Kinderbischof“ bezeichnet und zu ihrem Schutzpatron wurde. Im Sommer mussten die Kinder auf den Feldern mithelfen, im Winter wurden sie in die Schule geschickt. Zum Abschluss der Winterschule (damals noch vor Ostern) gab es dann nach den Prüfungen zur Belohnung Gebäck und Zuckerwerk sowie einen festlichen Umzug als auch Spiel und Tanz für die Kinder. Zu Ehren des „Kinderbischofs“ legte Papst Gregor IV. den Tag des Kinderfestes auf dessen Todestag, den 12. März.
Ursprünglich feierte man das Gregoriusfest im ganzen deutschsprachigen Raum, doch besonderen Anklang fand es in der oberfränkischen Region, wie beispielsweise in Creußen, Kulmbach, Kasendorf, Thurnau, Pegnitz oder Coburg – und ganz besonders in Neustadt b. Coburg. Zum feierlichen Ausklang des Schuljahres wurde das Fest allerdings in den meisten Städten auf Juli verlegt.
Was Kinder und Spielzeug angeht, stößt man in Neustadt b. Coburg auf eine Person, die sich wiederum in der traditionellen Puppen- und Spielzeugindustrie einen Namen gemacht hat und aufgrund ihrer politischen Verdienste 1909 zum Ehrenbürger ernannt wurde: Die Rede ist von dem Unternehmer und Politiker Max Oscar Arnold (1854-1938).
Geboren als Sohn eines Damenschneidermeisters lernte er das Schneiderhandwerk im Betrieb seiner Eltern, gleichzeitig erhielt er Zeichen- und Modellierunterricht in der Neustadter Industrie- und Gewerbeschule. Unmittelbar nach seiner Trauung im Dezember 1878 gründete Max Oscar Arnold ein eigenes Unternehmen, das zunächst Puppenkleidung, ab 1884 auch Puppen herstellte und das rasch expandierte. Die hochwertigen Erzeugnisse wurden vor allem in die USA exportiert. In den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zählte seine Firma mit bis zu 1000 Beschäftigten zu den wichtigsten Arbeitgebern in Neustadt. Fehlende Absatzmöglichkeiten der Puppenindustrie nach dem verlorenen Krieg, hohe finanzielle Verluste und ein Großbrand zwangen Arnold 1928 jedoch zur Schließung seiner Firma.
Max Oscar war aber nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Politiker sehr aktiv und engagiert. Seit 1884 gehörte er als Freisinniger dem Landtag von Coburg an, dessen Präsident er 1904 wurde. Zwischen 1914 und 1918 vertrat er das Herzogtum Coburg im Deutschen Reichstag. 1919 zählte er zu den entschiedenen Befürwortern eines Anschlusses des Freistaates Coburg an Bayern. Dem Bayerischen Landtag gehörte er von 1920 bis 1924 an. Besondere Verdienste erwarb sich Max Oscar Arnold als Politiker um den Bau der Steinachtalbahn und des Landkrankenhauses Coburg. Auch gehörte er zu den Initiatoren der Restaurierung der Veste Coburg.
Mit dem „Max-Oscar-Arnold-Kunstpreis“ erinnert die Stadt Neustadt an ihren Ehrenbürger, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des Coburger Landes darstellte. Im Rahmen des jährlich stattfindenden PuppenFestivals vergibt die Stadt ihre „Max-Oscar-Arnold-Kunstpreise“ für zeitgenössische Puppenkunst und verfolgt mit dem Wettbewerb das Ziel, eingedenk ihrer Tradition als Bayerische Puppenstadt die zeitgenössische Puppenkunst nachhaltig zu fördern. Der Kunstpreis gilt als eine der international bedeutendsten Auszeichnungen seiner Art und wird auch als „Oscar für Puppenmacher“ bezeichnet. Er gilt als einziger, nicht kommerziell ausgelobter Kunstpreis weltweit.
Zudem setzte die Stadt Neustadt b. Coburg ihrem Ehrenbürger vor 70 Jahren am 1. Juli 1950 in Gedenken an den 1. Juli 1920 – der Tag, an dem der Freistaat Coburg zum Freistaat Bayern kam, vor allem dank des eifrigsten Verfechters des Anschlusses: Max Oscar Arnold – ein Denkmal auf dem Neustadter Karlsplatz (heute Arnoldplatz).
Der 1. Juli ist für Neustadt b. Coburg weiterhin von Bedeutung, wenn man zurück in das Jahr 1990 blickt. Hier wurde nämlich seinerzeit an der „Gebrannten Brücke“ – ein Gedenkort, gelegen zwischen Neustadt und dem thüringischen Sonneberg – das „Abkommen über die Aufhebung der Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen“ zwischen dem damaligen Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Wolfgang Schäuble, und dem DDR-Innenminister Dr. Peter Michael Diestel abgeschlossen.
Da Neustadt auf Grund seiner geografischen Lage direkt von den Auswirkungen der Errichtung der innerdeutschen Grenze betroffen war und die Stadt daher reichlich Geschichtsgut in Form von Fundstücken, Zeitzeugen, Gedenkstätten und originalen Ausstellungsstücken zu bieten hat, wurde eigens für Bildungszwecke die „Bildungsstätte Innerdeutsche Grenze“ (BIG) im Gebäude der kultur.werk.stadt errichtet, die mit einem modernen musealen Konzept und zeitgemäß aufbereiteten Informationen einen umfassenden Einblick in die Historie Neustadts mit seinen kulturellen, wirtschaftlichen und industriellen Entwicklungsständen von der Zeit der Weltkriege über die Phase des kalten Krieges, die Grenzöffnung und deren Neuerungen und Folgen hinweg bis in die Gegenwart gewährt. Entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze sind außerdem an bestimmten Stationen Stelen zu finden, die Besuchern mit Bildern und Texten einen Standortvergleich von früher und heute vor Augen führen. Der Besuch der BIG sowie der Außenstelen kann wunderbar mit einer Wanderung entlang des Grünen Bands verknüpft werden.
Geschichte schreiben, Geschichte erleben – Neustadt b. Coburg im schönen Frankenland jedenfalls lebt Geschichte und macht sie lebendig, sei es in Form des traditionellen Kinderfestes im Juli, mit dem Max-Oscar-Arnold-Kunstpreis während des Internationalen PuppenFestivals Neustadt und Sonneberg im Mai oder mit der ganzjährigen Öffnung der Bildungsstätte Innerdeutsche Grenze.